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verlebte ich kaum einen Tag in meinem Zimmer. Meine Freunde, bei denen ich sonst nur
abgerissene Besuche machen konnte, wollten sich meines anhaltenden Umgangs sowie ich mich
des ihrigen erfreuen; öfters wurde ich zu Tische geladen, Spazierfahrten und kleine Lustreisen
kamen hinzu, und ich blieb nirgends zurück. Als aber der Zirkel durchlaufen war, sah ich, daß das
unschätzbare Glück der Freiheit nicht darin besteht, daß man alles tut, was man tun mag und wozu
uns die Umstände einladen, sondern daß man das ohne Hindernis und Rückhalt auf dem geraden
Wege tun kann, was man für recht und schicklich hält, und ich war alt genug, in diesem Falle ohne
Lehrgeld zu der schönen Überzeugung zu gelangen.
Was ich mir nicht versagen konnte, war, so bald als nur möglich den Umgang mit den Gliedern
der herrnhutischen Gemeine fortzusetzen und fester zu knüpfen, und ich eilte, eine ihrer nächsten
Einrichtungen zu besuchen: aber auch da fand ich keinesweges, was ich mir vorgestellt hatte. Ich
war ehrlich genug, meine Meinung merken zu lassen, und man suchte mir hinwieder beizubringen:
diese Verfassung sei gar nichts gegen eine ordentlich eingerichtete Gemeine. Ich konnte mir das
gefallen lassen; doch hätte nach meiner Überzeugung der wahre Geist aus einer kleinen so gut als
aus einer großen Anstalt hervorblicken sollen.
Einer ihrer Bischöfe, der gegenwärtig war, ein unmittelbarer Schüler des Grafen, beschäftigte sich viel
mit mir; er sprach vollkommen Englisch, und weil ich es ein wenig verstand, meinte er, es sei ein
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Wink, daß wir zusammengehörten; ich meinte es aber ganz und gar nicht; sein Umgang konnte mir
nicht im geringsten gefallen. Er war ein Messerschmied, ein geborner Mähre; seine Art zu denken
konnte das Handwerksmäßige nicht verleugnen. Besser verstand ich mich mit dem Herrn von L***,
der Major in französischen Diensten gewesen war; aber zu der Untertänigkeit, die er gegen seine
Vorgesetzten bezeigte, fühlte ich mich niemals fähig; ja es war mir, als wenn man mir eine Ohrfeige
gäbe, wenn ich die Majorin und andere mehr oder weniger angesehene Frauen dem Bischof die
Hand küssen sah. Indessen wurde doch eine Reise nach Holland verabredet, die aber, und gewiß zu
meinem Besten, niemals zustande kam.
Meine Schwester war mit einer Tochter niedergekommen, und nun war die Reihe an uns
Frauen, zufrieden zu sein und zu denken, wie sie dereinst uns ähnlich erzogen werden sollte. Mein
Schwager war dagegen sehr unzufrieden, als in dem Jahr darauf abermals eine Tochter erfolgte;
er wünschte bei seinen großen Gütern Knaben um sich zu sehen, die ihm einst in der Verwaltung
beistehen könnten.
Ich hielt mich bei meiner schwachen Gesundheit still und bei einer ruhigen Lebensart ziemlich im
Gleichgewicht; ich fürchtete den Tod nicht, ja ich wünschte zu sterben, aber ich fühlte in der Stille, daß
mir Gott Zeit gebe, meine Seele zu untersuchen und ihm immer näherzukommen. In den vielen
schlaflosen Nächten habe ich besonders etwas empfunden, das ich eben nicht deutlich
beschreiben kann.
Es war, als wenn meine Seele ohne Gesellschaft des Körpers dächte; sie sah den Körper selbst als
ein ihr fremdes Wesen an, wie man etwa ein Kleid ansieht. Sie stellte sich mit einer
außerordentlichen Lebhaftigkeit die vergangenen Zeiten und Begebenheiten vor und fühlte daraus,
was folgen werde. Alle diese Zeiten sind dahin; was folgt, wird auch dahingehen: der Körper wird
wie ein Kleid zerreißen, aber ich, das wohlbekannte Ich, ich bin.
Diesem großen, erhabenen und tröstlichen Gefühle sowenig als nur möglich nachzuhängen, lehrte
mich ein edler Freund, der sich mir immer näher verband; es war der Arzt, den ich in dem Hause
meines Oheims hatte kennenlernen und der sich von der Verfassung meines Körpers und meines
Geistes sehr gut unterrichtet hatte; er zeigte mir, wie sehr diese Empfindungen, wenn wir sie
unabhängig von äußern Gegenständen in uns nähren, uns gewissermaßen aushöhlen und den Grund
unseres Daseins untergraben. »Tätig zu sein«, sagte er, »ist des Menschen erste Bestimmung, und
alle Zwischenzeiten, in denen er auszuruhen genötiget ist, sollte er anwenden, eine deutliche
Erkenntnis der äußerlichen Dinge zu erlangen, die ihm in der Folge abermals seine Tätigkeit
erleichtert.«
Da der Freund meine Gewohnheit kannte, meinen eigenen Körper als einen äußern Gegenstand
anzusehn, und da er wußte, daß ich meine Konstitution, mein Übel und die medizinischen Hülfsmittel
ziemlich kannte und ich wirklich durch anhaltende eigene und fremde Leiden ein halber Arzt
geworden war, so leitete er meine Aufmerksamkeit von der Kenntnis des menschlichen Körpers
und der Spezereien auf die übrigen nachbarlichen Gegenstände der Schöpfung und führte mich wie im
Paradiese umher, und nur zuletzt, wenn ich mein Gleichnis fortsetzen darf, ließ er mich den in der
Abendkühle im Garten wandelnden Schöpfer aus der Entfernung ahnen.
Wie gerne sah ich nunmehr Gott in der Natur, da ich ihn mit solcher Gewißheit im Herzen trug;
wie interessant war mir das Werk seiner Hände, und wie dankbar war ich, daß er mich mit dem Atem
seines Mundes hatte beleben wollen!
Wir hofften aufs neue mit meiner Schwester auf einen Knaben, dem mein Schwager so sehnlich
entgegensah und dessen Geburt er leider nicht erlebte. Der wackere Mann starb an den Folgen
eines unglücklichen Sturzes vom Pferde, und meine Schwester folgte ihm, nachdem sie der Welt
einen schönen Knaben gegeben hatte. Ihre vier hinterlassenen Kinder konnte ich nur mit Wehmut
ansehn. So manche gesunde Person war vor mir, der Kranken, hingegangen; sollte ich nicht
vielleicht von diesen hoffnungsvollen Blüten manche abfallen sehen? Ich kannte die Welt genug,
um zu wissen, unter wie vielen Gefahren ein Kind, besonders in dem höheren Stande, heraufwächst,
und es schien mir, als wenn sie seit der Zeit meiner Jugend sich für die gegenwärtige Welt noch
vermehrt hätten. Ich fühlte, daß ich bei meiner Schwäche wenig oder nichts für die Kinder zu tun
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