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Türschloss geknackt und sich reingelegt. Ich habe vorhin
den Bericht der Kollegen gelesen. Und da stand etwas, das
ich nicht verstehe.«
»Sie meinen seine Kleidung«, sagte Dr. Ekhorn.
»Seine Kleidung«, sagte ich. Der Kollege hatte
geschrieben, der Tote habe einen gelben Hut und eine
Sonnenbrille getragen, aber sonst &
»Sonst fast nichts«, sagte der Gerichtsmediziner und zog
das Tuch über das Gesicht des Toten. »Das kommt vor,
dass sich Erfrierende hochgradig unlogisch verhalten. Sie
tun zum Beispiel etwas, das man nie erwarten würde.«
»Was?«, sagte ich und machte ein paar Schritte auf die
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Tür zu. Der Geruch machte mich schwindlig.
»Sie reißen sich die Kleidung vom Leib«, sagte
Dr. Ekhorn, »trotz der eisigen Kälte. Das ist eine Form
von Delirium. Man nennt es Kälte-Idiotie. Das war bei
Ihrem Mann der Fall. Er war sehr erschöpft, sehr ab-
gemagert, hatte viel Alkohol getrunken. Ich schicke Ihnen
den Abschlussbericht am Montag, reicht Ihnen das?«
»Ja«, sagte ich.
»Jetzt haben Sie Ihren Vermissten wenigstens wieder«,
sagte er.
»Ja«, sagte ich.
»Wissen Sie was über ihn? Er hat eine Menge Narben
und Verformungen am Körper.«
»Er war ein berühmter Fußballspieler«, sagte ich. »Er
spielte beim FC Bayern und einmal in der National-
mannschaft.«
»Fürs Sporttreiben hat mir immer der Ehrgeiz gefehlt«,
sagte Dr. Ekhorn.
Ich sagte: »Ihm eigentlich auch.«
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anach lagen wir nebeneinander, beide auf dem
D Rücken, die Arme ausgestreckt und unsere Hände
berührten sich sacht. Nachdem ich in der Pension
»Stefanie« angerufen hatte, streifte ich, weil ich nicht in der
Halle des Gerichtsmedizinischen Instituts auf Edward Loos
warten wollte, die Thalkirchener Straße entlang, auf der
einen Seite hinauf in Richtung Kapuzinerstraße, auf der
anderen hinunter auf das Sendlinger Tor zu. Ich versuchte
mir vorzustellen, auf welche unauffällige und sorgfältige
Weise Aladin die Autoschlösser geknackt hatte, sodass er
weder dabei noch später, während er schlief, erwischt
worden war. Immer entkam er, bevor die Besitzer
auftauchten, und ich war mir sicher, einige von ihnen
wunderten sich vielleicht etwas über den fremden Geruch
im Wagen, aber noch mehr darüber, warum sie vergessen
hatten abzusperren. Ich sah Aladin, wie er sich am
Neujahrstag an einer der sechzehn Busstationen anstellte,
zusammen mit anderen Hungerleidern, und dankbar heißen
Tee und Suppe entgegennahm. Und ich wusste nicht, wo er
sich zwischen seiner letzten Begegnung mit Holder und
seinem Tod im Volvo aufgehalten hatte. Wieso hatte er
plötzlich den Kontakt zu seinen wenigen Verbündeten
abgebrochen, wieso hatte er so überzeugend vom Konzert
seines Bruders erzählt und gleichzeitig diesen nicht wieder
angerufen? Ungefähr drei Wochen lang musste er durch die
Stadt geirrt sein, abseits seiner üblichen Wege. Wovon und
wo er sich ernährt hatte, blieb im Dunkeln, vermutlich hatte
er Mülltonnen und Container durchwühlt, nur geschlafen
hatte er wahrscheinlich auf die gleiche Art wie immer, in
einem Auto. Warum war Aladin Toulouse verloren
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gegangen? Warum hatte ihn Edwards Idee, gemeinsam ins
Ausland zu reisen, ihre Väter zu besuchen und zumindest
eine Zeit lang ein aufregendes Leben zu führen, nicht mit
Zuversicht erfüllt, obwohl er nach den Aussagen seines
Halbbruders nie eine negative Bemerkung über den Plan
gemacht hatte? Und warum war er schließlich in das Viertel
der Stadt zurückgekehrt, in dem Lina Walter und ihre
Helferinnen in dieser Jahreszeit jeden Samstag Morgen zu
Tisch baten? Und er hatte nicht nur das Viertel aufgesucht,
sondern bestimmte Straßen. Wie Dr. Ekhorn festgestellt
hatte, war Aladin vor sechs bis sieben Tagen gestorben, was
meinen Überlegungen nach bedeutete, nicht vor dem
vergangenen Wochenende, da er, wäre er früher nach
Nordschwabing gekommen, sicher die Tafel am letzten
Samstag besucht hätte. Offensichtlich tauchte er also erst
am Sonntag oder Montag in unmittelbarer Nähe von St.
Sebastian auf und übernachtete dort. Und dies ließ nur eine
Schlussfolgerung zu.
»Er wollte überleben«, sagte ich zu Sonja.
Nach einem langen Schweigen sagte sie: »Oder er wollte
nur sein Versprechen halten.«
»Er konnte sein Versprechen nicht halten.«
»Warum nicht?«
»Es gibt keine Konzertkarten«, sagte ich. »Man zahlt am
Abend Eintritt, das ist alles.«
»Er hätte dafür gesorgt, dass dieser Holder und seine & «
»Senta.«
»& dass die umsonst reinkommen, das ist doch ein
schönes Versprechen.«
»Ja«, sagte ich. »Aber er redete davon, Karten zu
bringen.«
»Er war halt ein Scherzbold«, sagte sie.
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»Er wollte überleben«, sagte ich wieder. Unten im Hof
bellte ein Hund, dann war es still. Von einem bestimmten
Zeitpunkt einer Vermissung an verhallten alle Fragen. Sei
es in der unheimlichen Gegenwart eines Schatten-
menschen  so nannten wir Vermisste, von deren Tod wir
ausgingen, deren Leichen wir aber nicht finden konnten,
sodass die Angehörigen oft gegen ihren Willen weiter- [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]

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